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Die neuesten Forschungen zur Geschichte der sozialen Ungleichheit gehen davon aus, dass die Meritokratie in den westlich-kapitalistischen Ländern die vom Status, der Religion, der Ethnie und des Geschlechts herrührenden Ungleichheiten, die die sozialen Beziehungen im Europa der Vormoderne strukturierten, nicht aufgehoben hat. Für die Gesellschaft der Frühen Neuzeit wird postuliert, dass die soziale Ungleichheit nicht allein auf Statusunterschiede zurückzuführen ist, sondern dass einerseits Frauen, Arme, Migranten und Bewohner der Kolonialreiche besonderen Diskriminierungen ausgesetzt waren, was ungleiche Lebenschancen begründete. Andererseits aber insbesondere der Arbeitsmarkt von einem fragilen Gleichgewicht zwischen individuellen Aushandlungsmöglichkeiten und Statusunterschieden geprägt war.
Der Forschungsbereich geht von diesen Befunden aus und wendet das Forschungskonzept der Intersektionalität auf die Sozialgeschichte der Frühen Neuzeit und des beginnenden 19. Jahrhunderts an. Die komplexe Realität der gesellschaftlichen Ungleichheiten (ökonomisch, politisch, sozial, kulturell) werden in Wechselwirkung mit den Geschlechterordnungen der jeweiligen Zeit gedacht. Die weit verbreitete Idee der unspezifischen „Frauen- und Männerrollen“, die vor allem in Bezug auf Frauen in der normativen zeitgenössischen Literatur vorherrscht, wird für die soziale Praxis in Frage gestellt und in Relation zur konkreten Lebenswelt von Männern und Frauen der verschiedenen Stände gesetzt. Wirtschaftsgeschichte und Verwandtschaftsforschung werden dabei konsequent aufeinander bezogen, geht es doch um Lebenschancen, die von familiären Besitzstrukturen genauso wesentlich geprägt waren wie von Erwerbsmöglichkeiten, von Erbe und Arbeit also.