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In der Nachkriegszeit erlebte die Psychiatrie verschiedene Formen des ‚disempowerments, darunter die Schließung oder Umstrukturierung von Anstalten, die Aufweichung disziplinärer Grenzen und die Öffnung des beruflichen ‚Monopols‘ der Psychiater*innen. Besonders deutlich zeigt sich diese Fragmentierung im italienischen Kontext: Ab den 1960er-Jahren, insbesondere mit der „Basaglia-Reform“ 1978, wurde das Anstaltsmodell abgeschafft und durch gemeindenahe, bevorzugt ambulante Dienste ersetzt. Das Forschungsprojekt verortet sich in diesem Reformkontext und untersucht die Entwicklung der psychiatrischen Fürsorge in der Provinz Bozen/Südtirol zwischen 1945 und 2000. Relevanz erhält das Thema insbesondere vor dem Hintergrund des Zweiten Autonomiestatutes von 1972, mit dem die Provinz weitreichende Gesetzgebungskompetenzen erhielt und gesamtstaatliche Reformen, so auch jene im Bereich der Psychiatrie, auf Provinzebene neu verhandeln konnte. Ausgangspunkt des Forschungsprojektes ist die Beobachtung, dass die Provinz Bozen nie über eine eigene psychiatrische Landesanstalt verfügte. Die stationäre Versorgung erfolgte großteils außerhalb der Provinz, allen voran in der Anstalt von Pergine (Trentino), in jener von Hall in Tirol sowie der Universitätsklinik in Innsbruck. Die Fragestellungen gliedern sich in zwei Themenblöcke: Einerseits wird untersucht, welche politisch-institutionellen Entscheidungen und Planungen die psychiatrische Versorgung ‚von oben‘ konzipierten. Andererseits stehen die Praktiken von Ärzt*innen, Pflegepersonal und vor allem Patient*innen im Mittelpunkt, die im Rahmen der Etablierung neuer psychiatrischer Strukturen wirksam wurden.