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Joseph von Giovanelli: Eine Biographie des Vormärzes

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Will man sich mit der politischen Geschichte Tirols des 19. Jahrhunderts beschäftigen, so kommt man kaum an der Person Joseph von Giovanellis (1784– 1845) vorbei. Wie kein anderer seiner Zeitgenossen verkörpert er den Tiroler Vormärz, am Anfang der politischen Leitdifferenz zwischen Konservativ und Liberal stand in Tirol zweifelsfrei er. Giovanelli entstammte einem eng mit der ständischen Landesverwaltung verbundenem Adelsgeschlecht, agitierte gegen die bayerische Verwaltung Tirols, war am Aufstand von 1809 maßgeblich beteiligt, Sprachrohr und Kopf der Bozener handelspolitischen Partikularinteressen, Mitglied des ständischen Kongresses und Vordenker wie auch Umsetzer einer rekatholisierten Gesellschaft. Er pflegte intensive Kontakte in Tirol, war in politische und ultramontane Netzwerke zwischen Norditalien, München, Wien und Frankreich eingebunden. Seine Biographie erlaubt unterschiedliche Lesarten, die den Tiroler Vormärz, der nach wie vor zu den Stiefkindern der Tiroler Regionalgeschichte gehört, auf mehreren Ebenen neu zu beleuchten vermögen. Zunächst ist ein historiographisches Paradox zu seiner Person festzuhalten: Man wird kaum einen Text der Landesgeschichte Tirols finden, die das Werk des im 19. Jahrhundert höchst umstrittenen, heute weitgehend vergessenen Bozener Adeligen nicht würdigte. Eine eingehende Untersuchung zu seiner Person sucht man jedoch vergeblich. Somit trifft Giovanelli das Schicksal vieler seiner konservativen Zeitgenossen: Sieht man von einigen wichtigen Ausnahmen ab, fällt die biographische Vorliebe der Historiographie vor allem auf liberale Politiker des 19. Jahrhunderts. Dies gilt insbesondere auch für die deutschsprachige und italienischsprachige Geschichtsschreibung Tirols.

„Kontextualisierte Biographie“ als regionalgeschichtliches Methode Eine Biographie Joseph von Giovanellis will sich keinen „biographischen Illusionen“ (P. Bourdieu) hingeben und nachträglich kontingente Ereignisse und Handlungen in einen kohärenten Sinnzusammenhang stellen. Angesichts seines komplexen, von vorderhand widersprüchlichen Kategorienpaaren wie Tradition und Innovation, Reaktion und Fortschrittlichkeit geprägten Lebenslaufes wäre dies auch nicht möglich. Vielmehr soll versucht werden, jüngere Methoden der historischen Biographik für die Regionalgeschichte nutzbar zu machen. Mit anderen Worten: Das Erkenntnisinteresse fällt in erster Linie nicht auf den Lebenslauf Giovanellis, sondern auf seine Lebenswelt, Selbst- und Fremddeutungen, Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten, kurzum: Giovanelli soll als eine mögliche Gestalt zwischen 1780 und 1850 beschrieben werden. Das Projekt folgt einem multiperspektivischen Ansatz, wonach Giovanellis Leben aus unterschiedlichen Blickpunkten beleuchtet werden soll, die nach sozialen Systemen gegliedert sind: Individuum –Familie/Stand –Stadt –Land –Transnationale/Überregionale ultramontane Netzwerke Es wird hier also eine multiperspektivische Beobachtung, eine „kontextualisierte Biographie“ angestrebt, die politik-, religions-, adels-, und bürgertumsgeschichtliche Aspekte vereinen will. Im Vordergrund stehen also die sozialen Netzwerke und Codierungen, in denen Giovanelli eingebunden war und wie er diese beobachtete. Der regionalhistorische Ertrag ist ein mehrfacher: Zunächst soll das überstrapazierte Konzept der „Sattelzeit“ relativiert werden und Giovanelli nicht als Figur des Übergangs, sondern als Vertreter eines Zeitabschnittes gedeutet werden, der als „Laboratorium der Moderne“ (E. Frie) bezeichnet wurde und von ganz eigenen Erfahrungswelten und Handlungsspielräumen, politischen Kommunikationsmöglichkeiten unter den Bedingungen der neoabsolutistischen Zensur, Vergangenheitsdeutungen und Zukunftserwartungen geprägt war. Das „Laboratorium der Moderne“ am Beispiel Joseph von Giovanellis zu untersuchen ließe die Genealogie der tirolischen Verlustgeschichte des 19. Jahrhunderts aber auch jene des katholischen Konservativismus, die beide über das 19. Jahrhundert hinaus wirkmächtig blieben, nachvollziehbar werden. Schließlich verspricht der multiperspektivische Ansatz, die Geburt des „modernen“, funktional differenzierten Tirols nachzuzeichnen: War Giovanellis Handlungshorizont bis in die 1820 deutlich ständisch geprägt und seine gesellschaftlichen Bezugspunkte die Familie, die Stadt und ein ständisch geordnetes Tirol, so suchte er in den letzten zwanzig Lebensjahren dem sozialen System der Religion gesellschaftliche Freiräume und Kommunikationskanäle zu schaffen, die keine ständischen Grenzen mehr kannten. Giovanellis Handlungsrahmen war nun ein einheitliches, „katholisches“ Tirol, das er gegen Wien, den Protestantismus und zuweilen auch gegen Italien abgrenzte.